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AutorenbildJulian Maly

Wie viel Bauchgefühl ist erlaubt?

Vorweg: Persönliche Sympathie ist in vielen Lebenssituationen eine anerkannte Grundlage für Entscheidungen, ob wir mit Menschen Zeit verbringen, in tiefere Beziehungen treten und ihnen Vertrauen schenken. Bei der Vielzahl an täglichen Interaktionen hilft unser Bauchgefühl, unsere Erfahrungen blitzschnell in Entscheidungen umzusetzen. Wenn Daten und Fakten nicht verfügbar sind bzw. deren Beschaffung zu aufwändig oder unpassend erscheint, ist Intuition sogar die einzige Möglichkeit, überhaupt, entscheiden zu können. Das Ergebnis der jeweiligen Entscheidung hängt nicht zuletzt von den Umständen ab.


Doch wie steht es im Kontext von Personalentscheidungen um dieses „Bauchgefühl“? Wie viel Raum soll man ihm geben? Ist Intuition als Gradmesser bei der Personalauswahl erlaubt? Wieviel Objektivierung muss sein? Eine schwierige und immer wiederkehrende Diskussion. Der Versuch einer Annäherung aus der Praxis…

 

Abgrenzung des Begriffs

Sympathie ist die sich spontan ergebende gefühlsmäßige Zuneigung.


Davon zu unterscheiden ist die Intuition. Sie ist die Fähigkeit, Einsichten in Sachverhalte, Sichtweisen, Gesetzmäßigkeiten oder die subjektive Stimmigkeit von Entscheidungen zu erlangen, ohne diskursiven Gebrauch des Verstandes, also etwa ohne bewusste Schlussfolgerungen.

 

Objektivierung

Nicht jede Personalentscheidung verlangt nach demselben Maß an Objektivierung. Während im Rahmen von Personalbesetzungsverfahren in Institutionen und großen Organisationen schon aus Gründen der Chancengleichheit sowie der höheren Gefahr von Seilschaften, verdeckten Agenden und gegenseitigen Abhängigkeiten ein besonderer Anspruch an eine möglichst neutrale Entscheidungsfindung unter Ausschluss persönlicher Einflüsse gestellt wird, steigert sich dieser richtigerweise analog zur „Macht“ einer Position und deren Einfluss auf Entwicklungen größerer Gruppen noch weiter.


Im Gegensatz dazu geht es bei kleineren bzw. familiären Unternehmensstrukturen darum, mögliche Fehlentscheidungen auf Basis von Sympathie, falscher Parameter und der grundlegenden Tendenz zu Homogenität von Persönlichkeiten in Teams möglichst auszuschließen.

 

Intuition als Signal, tiefer zu graben

In beiden Fällen darf der Intuition der richtige Raum gegeben werden. Eine wesentliche Regel sollte dabei sein, einem negativen Bauchgefühl besonders nachzugehen. Dabei sollte man sich auch daran orientieren, wie ausgeprägt diese „Skepsis“ im spezifischen Fall verglichen zur allgemeinen Persönlichkeitsstruktur der beurteilenden Person ist. Wenn also der innere Seismograph unverhältnismäßig stark ausschlägt, lohnt es sich oftmals, tiefer zu graben. Stellt sich ein übertrieben positives Bauchgefühl, eine spontane Begeisterung in Bezug zu einer Person ein, ist dies ebenso ein Signal, das Entscheidungstempo im Zweifel zu drosseln.


Folgende Fragen können helfen:

  • Welche Informationen benötige ich, um meinen Eindruck zu verifizieren/falsifizieren?

  • Gibt es Erfahrungen aus der Vergangenheit, die das Bauchgefühl erklären?

  • Erinnert mich die Person an Situationen oder Menschen aus meinem persönlichen Umfeld?

  • In welcher Situation befinde ich mich? Ist möglicherweise der Wunsch Vater des Gedanken?


In schwierigen Fällen sollte man weitere, möglichst neutrale Personen oder Gruppen hinzuziehen, die mit ihrer Einschätzung zu einer Kalibrierung beitragen.

 

Risiken abwägen

Letztlich steht die Frage, unter wie großer Unsicherheit eine Entscheidung trotzdem getroffen werden sollte, immer auch im Kontext von Sachzwängen. Gibt es die Möglichkeit, die Timeline zu verlängern? Helfen zusätzliche Module im Auswahlverfahren weiter und wie anerkannt sind diese auch bei der jeweiligen Person? Welche Alternativen stehen zur Verfügung? Mit welchen Risiken ist eine Fehlentscheidung verbunden und wie einfach lässt sich diese korrigieren?

 

Wie gehen wir in der Praxis vor?

Als Personalberater haben wir regelmäßig mit unterschiedlich geübten Entscheidern zu tun. Unsere Aufgabe besteht darin, das Bauchgefühl dieser Entscheider zu hören und eine Einordnung zu geben. Auf Basis der Vielzahl an Entscheidungsprozessen ergeben sich Standards und das Standing, die spezifische Situation anhand von Erfahrungen zu kalibrieren. Dabei helfen in vielen Fällen auch eine frühe Definition der Parameter, ein professionelles Design der Prozessschritte (dazu zählen Business Cases, kritische Fragestellungen und Module, die Vergleichbarkeit herstellen) sowie deren neutrale Moderation und Dokumentation.



 

 

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